Um mehr zum Thema lokale Wirtschaftsförderung und den Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Metropolregion Rhein-Neckar zu erfahren sprachen wir mit Nikolina Visevic vom Citymarketingverein Pro Heidelberg.
Bitte stellen Sie sich und Ihre Tätigkeit bei Pro Heidelberg kurz vor.
Ich betreue die Geschäftsstelle des Citymarketingvereins Pro Heidelberg. Wir sind ein Gewerbeverein, der sich für die Betriebe in der Heidelberger Altstadt einsetzt.
Wie viele Mitglieder hat Pro Heidelberg und aus welchen Berufsgruppen setzen sich diese zusammen?
Wir haben rund 120 Mitglieder, die meisten sind kleine und mittlere Unternehmen. Der Anteil von Einzelhändlern liegt bei rund 60 Prozent, der Rest unterteilt sich überwiegend in Dienstleister und Gastronomiebetriebe. Die Einzelhändler agieren zum Großteil in den Branchen Mode, Accessoires und Schmuck. Breit aufgestellt ist außerdem auch die Lebensmittelbranche, wie zum Beispiel gut sortierte Weingeschäfte, Teeläden, Chocolaterien usw. Ansonsten ist das Angebot gut gemischt, aus vielen anderen Sparten und Bereichen. Bezeichnend für die Heidelberger Gewerbelandschaft ist außerdem der hohe Anteil von inhabergeführten Geschäften – innerhalb unseres Vereins machen das 45 bis 50 Prozent aus.
Welche Auswirkungen hatte Corona bis jetzt auf die Mitglieder von Pro Heidelberg?
Grundsätzlich hat sich bei uns das gleiche Bild wie sonst auch überall im Handel ergeben. Unsere Mitglieder sahen sich mit dem Lockdown, also der Geschäftsschließung, konfrontiert und hatten damit einhergehend mit Umsatzverlusten und Frequenzrückgängen zu kämpfen. Als dann wieder geöffnet werden durfte, haben die erforderlichen Hygienemaßnahmen neue Fragen und Probleme aufgeworfen. Also, wie kann ich mich und meine Kunden innerhalb der gegebenen räumlichen Umstände bestmöglich schützen – vom Aushang über die Wegeführung bis hin zum Plexiglas am Verkaufstresen, das alles musste ja individuell bedacht werden. Weitere Themen, welche die Mitglieder beschäftigt haben, waren natürlich auch Personalfragen hinsichtlich Kurzarbeit und Homeoffice. Bisher musste zum Glück noch keines unserer Mitglieder sein Geschäft aufgeben. Ich denke, richtig absehbar ist die weitere Entwicklung aber auch erst in den nächsten Wochen und Monaten. Man muss abwarten, ob mit dem Weihnachtsgeschäft ein Teil der Verluste ausgeglichen werden kann – in manchen Branchen macht das immerhin ein Viertel des Jahresumsatzes aus. Deswegen wird sich erst am Jahresende herauskristallisieren, ob der eine oder andere Betrieb dann doch einen drastischeren Schritt gehen und das Geschäft eventuell sogar schließen muss.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um Ihre Mitglieder kurzfristig zu unterstützen?
Das wichtigste Thema für die Händler ist rechtzeitig und schnellstmöglich an aktuelle Informationen zu kommen, damit sie sich schnell auf Neuerungen einstellen können. Wir fungieren also überwiegend auch als Schnittstelle zur Aufbereitung und Weiterleitung von Richtlinien, Verordnungen und sonstigen Änderungen. Ansonsten gibt es aber auch viele Projekte, die wir gemeinsam mit der Heidelberger Wirtschaftsförderung vorantreiben. Ein gutes Beispiel ist das Projekt „Digitales Wirtschaften“, das bereits seit zwei Jahren läuft, aber coronabedingt nun noch wichtiger wurde. Dabei wird echte Basisarbeit geleistet und versucht kleine und mittlere Unternehmen für das Thema Digitalisierung zu sensibilisieren. Es geht also weniger um die Frage: Wie kann ich meinen eigenen Onlineshop erstellen? Sondern vielmehr um grundlegende Weichenstellung: Wie kann ich mich als Unternehmen digital gut aufstellen, um mit meinen Kunden in Kontakt zu bleiben. Ansonsten haben wir mit kurzfristigen Maßnahmen rund um Hygienevorgaben, also zum Beispiel mit Desinfektionsstehlen, die man mit dem eigenen Unternehmensnamen branden konnte, weitergeholfen. Außerdem wurde mit der Stadt und der hiesigen Tageszeitung die Seite „Heidelberg kauft lokal“ initiiert, auf der man sich als Geschäft oder Gastronomiebetrieb eintragen und Bestell- und Liefermöglichkeiten angeben konnte. Das war natürlich vor allem für Geschäfte, die keinen eigenen Onlineshop haben, eine gute Möglichkeit sich zu präsentieren und wurde deswegen auch gut angenommen. Darüber hinaus haben wir direkten Kontakt zur Stadt gesucht, um temporär die Bedingungen für unsere Händler zu erleichtern, wie zum Beispiel Waren auch vor dem Laden präsentieren zu können. Ähnlich konnten auch Gastronomiebetriebe die Flächen für die Außenbewirtschaftung vergrößern. Ganz aktuell haben wir als Verein außerdem eine Werbekampagne gestartet, welche auch unter dem Motto „Heidelberg kauft lokal“ läuft. Die Plakate sollen das „regionale Einkaufen“ wieder in den Fokus rücken. Dazu haben wir einige unserer Mitglieder im Rahmen eines Shootings ablichten lassen und die entstanden Bilder mit dem Slogan „Wir lesen Ihnen die Wünsche von den Augen ab“ versehen. Der Slogan spielt nicht nur auf die Service- und Beratungsqualität des lokalen Handels an, sondern auch – mit einem kleinen Zwinkern – auf die derzeit eingeschränkte Mimik beim Tragen der Maske.
Viel lokale Kaufkraft ist in den letzten Monaten in digitale Kanäle abgewandert und wird nur schwer zurückzugewinnen sein. Wo sehen Sie Ansatzpunkte, um kleine und mittlere Gewerbetreibenden wieder für Kunden interessant zu machen?
Das Thema Digitalisierung bleibt auch weiterhin für den stationären Handel wichtig. Auch wenn man keinen eigenen Onlineshop betreibt, sind die Unternehmenswebsite oder auch die Darstellung in den Sozialen Medien von zentraler Bedeutung und sollten bestmöglich genutzt werden. Um dem florierenden Onlinehandel etwas entgegenzusetzen, gilt es das Aushängeschild des stationären Handels, nämlich die individuelle Servicefunktion, zu forcieren. Wo immer es möglich ist, sollte man auch versuchen diesen Vorteil ins Digitale zu übertragen. Dabei denke ich z. B. an eine Art „Click-and-Collect-Funktion“. Der Kunde kann sich auf der Website über das Angebot informieren und dann das gewünschte Produkt bestenfalls zur Abholung reservieren. Grundsätzlich geht es darum, sich nicht vor dem Thema Digitalisierung zu verschließen, sondern als Händler zu überlegen, was liegt im Rahmen meiner Möglichkeiten und wie kann ich bestehende digitale Konzepte an meine Situation anpassen, sodass sie einen Mehrwert für meine Kundschaft bieten. Ansonsten kann ich als Händler überlegen, wie ich das Einkaufserlebnis für meine Kunden verbessern kann, damit der Kunde in meinem Laden möglichst mit allen Sinnen angesprochen wird. Sei es eine Wartezeit mit einer Tasse Kaffee zu überbrücken oder das soziale Engagement mit einer speziellen Aktion unter Beweis zu stellen. Ein Spielzeugladen könnte beispielsweise gebrauchtes Spielzeug entgegennehmen und an ein Kinderheim spenden – so etwas kommt bei Kunden gut an und ermöglicht eine Interaktion über den Kaufprozess hinaus.
Welche Wünsche haben Sie an die Politik, um ein großflächiges Sterben von gerade inhabergeführten Gewerbetreibenden zu verhindern?
Der Blick für die Belange und Nöte der Händler darf nicht verloren gehen. Dafür sind eine gute Zusammenarbeit und ein enger Austausch zwischen der Stadt und den Gewerbevereinen wichtig. Wie schon angesprochen, hat die Stadt bereits einige Soforthilfen umgesetzt: zum Beispiel wurden alle direkten Forderungen der Stadt Heidelberg, wie Gebühren, Gewerbesteuer, Grundsteuer oder Mieten zinslos gestundet, die Außenflächen zur Bewirtschaftung wurden vergrößert und die Warenpräsentation vor den Geschäften ermöglicht. Außerdem hat die Stadt ein umfangreiches Maßnahmenpaket, die „Heidelberger Wirtschaftsoffensive“ geschnürt – hier ist es natürlich von zentraler Bedeutung, dass all das nun auch umgesetzt wird. In diesem Paket wurden unter anderem auch ein Heidelberger Solidaritäts-Gutschein und eine Online-Plattform als virtueller Marktplatz als mögliche Maßnahmen beschrieben. Der Gutschein wäre aus unserer Sicht eine sinnvolle Maßnahme, um die Heidelberger Betriebe zu unterstützen. Ein virtueller Marktplatz – ob mit oder ohne Shoppingfunktion, hängt unseres Erachtens vor allem von der Beteiligung und dem Zuspruch der Händler ab und könnte vorerst als Ausbaustufe eingeplant werden. Weiterhin wünschen wir uns Unterstützung bei Veranstaltungen wie dem „Verkaufsoffenen Sonntag“ und auch einen offenen Austausch zu den Themen Parken und Erreichbarkeit der Innenstadt. Schließlich gilt es auch derlei Barrieren im Fokus zu behalten, damit Kunden weiterhin Lust haben in die Innenstadt zu kommen und den Handel zu unterstützen.
Wie muss Ihrer Meinung nach, die lokale Wirtschaft aufgestellt sein, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern?
Wie schon mehrfach angesprochen, ist definitiv die digitale Sichtbarkeit kleiner und mittlerer Unternehmen eine der Themen, an denen es zu arbeiten gilt. Ansonsten sind der Zusammenhalt unter den Gewerbetreibenden sowie der beständige Austausch aller Beteiligten mit der Stadt wichtig, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.
Auch in der Zeit „nach Corona“ warten mit der voranschreitenden Digitalisierung weitere Herausforderungen auf kleine und mittlere Unternehmen. Welche Maßnahmen im Bereich Marketing und Vertrieb empfehlen Sie ihren Mitgliedern, um im digitalen Business zu bestehen?
Ich denke, dafür gibt es keine Allgemeinlösung. Vielmehr muss jeder Händler für sich passende, kreative Maßnahmen suchen und umsetzten. Die große Herausforderung ist Kommunikationswege zu finden, um potentiellen Kunden mitzuteilen, dass man als Anbieter am Markt ist. Das kann man auf vielfältige Weise erreichen. Ein Mitglied von uns hat während des Lockdowns beispielsweise kurzerhand eine Art „Window-Shopping“ angeboten. Das heißt, der Kunde wurde per Videotelefonie durch den Laden geführt, konnte sich Produkte aussuchen und diese reservieren. Es hat ein direkter Austausch stattgefunden. Das ist eine innovative Art, um mit Kunden in Kontakt zu kommen ¬– aus meiner Sicht ein toller Service. Das Beispiel zeigt vor allem, dass es nicht immer ein Onlineshop sein muss, sondern dass es auf der digitalen Ebene auch andere, ganz auf den Kunden zugeschnittene, Darstellungsmöglichkeiten gibt. Individuelle Stilberater, die passende Outfits vorschlagen und sich ganz auf Kundenbedürfnisse einlassen, gewinnen an Bedeutung ¬– da ist meines Erachtens in Zukunft viel Kreativität seitens der Händler gefragt, um dieses Bedürfnis zu befriedigen.
Was wünschen Sie sich als lokaler Gewerbeverbund für die Zukunft?
Direkt auf die Auswirkungen von Corona bezogen, wünschen wir uns, dass keines unserer Mitglieder sein Geschäft schließen muss. Ansonsten – auch allgemein auf die Innenstadt und darüber hinaus ausgeweitet – hoffen wir, dass an den Stellen, wo es doch einen Wechsel geben wird, es sich um positive Veränderungen handelt. Also, dass die neuen Geschäftskonzepte auch eine gewisse, zu Heidelberg passende Wertigkeit mit sich bringen. Als Gewerbeverein freuen wir uns zudem, wenn wir weitere Betriebe für unsere Arbeit begeistern und viele neue Mitglieder gewinnen können. Schlussendlich zielen wir darauf ab, Heidelberg als starken Einkaufsstandort mitzugestalten. Deswegen wünschen wir uns, dass die Händler weiterhin kreativ bleiben, offen für digitale Neuerungen sind, zusammenarbeiten und zu Themen, die sie alle betreffen, einen offenen Austausch pflegen. Wenn wir als „Heidelberg“ zusammenhalten, dann kann das für die Zukunft doch nur positiv sein. (lacht)
Weitere Informationen zu Pro Heidelberg erhalten Sie unter www.proheidelberg.de